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Im Blickpunkt
GIACOMO C.
von Jean Dufaux (Szenario) und Griffo (Zeichnungen)
Gesamtausgabe in 6 Bänden

Vor dem Hintergrund von Intrigen und kriminellen Machenschaften entwerfen Jean Dufaux und der Zeichner Griffo ein lebendiges und farbenprächtiges Bild der im Niedergang begriffenen Stadt an der Lagune. Es ist das Venedig Canalettos, Vivaldis und nicht zuletzt Casanovas.

Mit der historischen Figur des Giacomo Casanova hat die Serie allerdings nur die Anlehnung des Titels und die amourösen Abenteuer des Helden gemein. Giacomo C. ist ein Abenteurer, einer, der Anteil hat am Glanz der Gesellschaft, dem aber auch die Niederungen der menschlichen Existenz nicht unbekannt sind. Immer ist er in Geldsorgen, obwohl er zuweilen große Mengen an Geld besitzt.

Originaltitel und Verlag: "Giacomo C.", Editions Glenat

 

Jean Dufaux

Jean Dufaux, geboren am 7. Juni 1949 in Ninove (Belgien), studierte an der Brüsseler Filmschule, dem Institut des Arts et Diffusion, und war danach als Film-Journalist für "Ciné-Presse" tätig. Nebenher schrieb er Stücke für ein Kindertheater und Kurzgeschichten für diverse Publikationen. 1983 wandte er sich dem Schreiben von Comics zu. Nach einigen Szenarios für Renaud ("Jessica Blandy", "Die Kinder des Salamander") und andere Zeichner begann 1985 seine fruchtbare Zusammenarbeit mit Griffo. Nach dem Dreiteiler "Beatifica Blues" (1986-89 bei Dargaud) erschien 1988 im Verlag Glénat das erste Album der Serie "Giacomo C." (insgesamt 15 Bände bis 2005). Mit Griffo als Zeichner entstanden weiterhin die Alben und Serien "Sade" (1991), "Samba Bugatti" (1992-97), "Monsieur Noir" (1994/95) und "L'oracle della luna" (2012/13). Anfang der 90er Jahre hatte sich Jean Dufaux bereits als einer der führenden Comicautoren im französischsprachigen Raum bewährt. Seither ist er für verschiedene Zeichner und Verlage tätig. Zu Dufaux' bekanntesten neueren Comics, die zumeist einer phantastischen, morbiden Thematik verpflichtet sind, gehören "Das verlorene Land" (Zeichner Grzegorz Rosinski), "Die Verfolger der Krone" (Martin Jamar), "Niklos Koda" (Olivier Grenson), "Rapaces" (Enrico Marini), "Dixie Road" (Hughes Labiano), "Murena" (Philippe Delaby), "Schattenspiele" (Lucien Rollin), "Djinn" (Ana Mirallès), "Conquistador" (Philippe Xavier) und "Saria" (Paolo Eleuteri Serpieri u. a.). Für den von diversen Zeichnern und Autoren fortgeführten Klassiker "Blake und Mortimer" schrieb Jean Dufaux 2013 den Band "Die Septimus-Welle".

Griffo

Griffo alias Werner Goelen wurde am 21. Mai 1949 im belgischen Wilrijk geboren. Nach dem Kunststudium in Antwerpen und einigen Jahren als Illustrator begann seine professionelle Lauf-bahn als Comiczeichner 1975 mit Übernahme der Franquin-Serie "Mausi und Paul". Einen Namen machte er sich allerdings durch Arbeiten im realistischen Stil, wobei er das Glück hatte, in Jean Dufaux einen der besten Szenaristen seiner Zeit zu finden. Zusammen gestaltete das Team die Alben und Serien "Beatifica Blues", "Giacomo C.", "Sade", "Samba Bugatti", "Monsieur Noir" und "L'oracle della luna". Aber Griffo hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch mit diversen anderen Szenaristen gearbeitet, etwa mit Jean van Hamme ("Das verlorene Glück"), Patrick Cothias ("Dschingis Khan", "La pension du docteur Eon"), Valérie Mangin ("Petit Miracle", "Abymes"), Yves Swolfs ("Vlad"), Stephen Desberg ("Empire USA", "Sherman", "Golden Dogs") und Laurent-Frédéric Bollée ("L'ultime chimère"). Als Griffos Hauptwerk, der Comic, mit dem er noch immer am ehesten in Verbindung gebracht wird, gilt jedoch "Giacomo C.". Die 15 Alben der Serie entstanden in einem Zeitraum von 17 Jahren. Für einen Zeichner ist das eine lange Zeit, in der er natürlich eine künstlerische Entwicklung durchmacht. Viele Zeichner unterdrücken Änderungen im Stil, um einer Serie über ihre ganze Laufzeit denselben Ausdruck zu geben. Nicht so Griffo: Gerade an "Giacomo C." lässt sich der künstlerische Werdegang seines Schöpfers ablesen.

Die letzte Stunde der Serenissima

Vom Ende des 10. Jahrhunderts an galt die Serenissima Repubblica di San Marco, die Erlauchteste Republik des Heiligen Markus, als eine der führenden Handels- und Seemächte des östlichen Mittelmeerraums. Dieser Ruhm war zu der Zeit, in der unser Comic spielt - also um die Mitte des 18. Jahrhunderts - bereits weitgehend verblasst. Längst hatte die Republik die meisten ihrer Kolonien verloren (darunter Zypern, Kreta und den Peloponnes); geblieben waren Besitzungen auf dem norditalienischen Festland und an der dalmatinischen Küste. Sein Ende sollte das alte Venedig dann schon wenige Jahrzehnte später finden, zur Zeit Napoleons: 1797 wurde die Stadt von den Franzosen besetzt, die viele ihrer Kunstschätze nach Paris entführten.

Die Geschichte Venedigs ist höchst spannend und interessant - aber entgegen allem Anschein ist "Giacomo C." kein Historiencomic im engeren Sinne. Das, was wir gemeinhin unter Geschichte verstehen, also die politischen Ereignisse, verknüpft mit dem Wirken eminenter Persönlichkeiten, spielt in diesem Comic keine Rolle. Mitte des Jahrhunderts stand der Doge Pietro Grimani der Stadt vor; er starb 1752 im Alter von 84 Jahren. Kein Vergleich mit dem virilen Dogen des Comics, für den sich Griffo wohl von Sebastiano Bombellis Porträt des Girolamo Querini inspirieren ließ, der hundert Jahre zuvor Prokurator von San Marco gewesen war. Unter Grimani erlebte die Stadt eine wirtschaftliche und künstlerische Blütezeit: es war die große Epoche des Theaters (insbesondere des Komödiendichters Carlo Goldoni) und die Schaffensperiode von Malern wie Giandomenico Tiepolo, Francesco Guardi und Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto (dessen Veduten Griffo immer wieder gern als Vorlagen für seine Hintergrunddekoration verwendet hat).

Es war dies auch die Lebenszeit des Schriftstellers und Abenteurers Giacomo Casanova. An ihn denkt man sofort; er dürfte die Autoren nicht nur zum Titel "Giacomo C." inspiriert haben, sondern auch zur Charakterisierung des Titelhelden Giacomo als Schürzenjäger. Da enden die Gemeinsamkeiten aber auch schon: Giacomo ist nicht Casanova. Ihm fehlen nicht nur die diversen Qualitäten der historischen Figur, ihm wurde von Jean Dufaux auch eine eigene Vita auf den Leib geschrieben, die der Leser aber erst im Laufe der Serie bruchstückhaft erfahren soll. "Giacomo C." ist also kein Comic über Giacomo Casanova, wenn auch Dufaux vor dem Schreiben Casanovas Memoiren gelesen und diverse Bücher und Filme zum Thema gelesen bzw. gesehen hat.

Der historische Casanova hat diesen Comic lediglich inspiriert, ebenso wie die Stadt Venedig. Man glaubt es kaum - weder Dufaux noch Griffo waren, als sie ihre Saga begannen, jemals in Venedig gewesen. Jean Dufaux besuchte die Stadt an der Lagune erst, nachdem bereits eine Handvoll Alben von "Giacomo C." erschienen waren; der Zeichner Griffo gab 1998 in einem Interview zu, Venedig nicht aus eigener Anschauung wiederzugeben:

Ich kenne die Stadt nur über Bilder, die andere von ihr gezeichnet haben, vor allem die Maler des 18. Jahrhunderts. Mein Venedig ist ein idealisiertes Venedig, eine Stadt aus der Vorstellung. Ich sehe Venedig als eine mythische, allegorische Stadt jenseits von Zeit und Raum. Im Lauf der Jahrhunderte blieb sie immer gleich, veränderlich und doch unzeitlich. Sie bildet ein eigenes Universum mit eigenen Regeln und Gesetzen, eine geschlossene Welt. Von ihrer geografischen Lage her kann sie sich weder erweitern noch wandeln. Sie ist dazu verdammt, leise zu vergehen. Das ist natürlich sehr romantisch.

Das Venedig von "Giacomo C." ist pure Illusion, eine Kulisse. Bei genauem Hinsehen bemerkt man, dass nur einige wenige Bildzitate das Dekor vorgeben. Griffo schafft es, seine Figuren zwischen diesen - Foto- und Kunstbildbänden entnommenen - Staffagen agieren zu lassen, ohne dass der Leser dabei das Gefühl hätte, sich in einer Dekoration und nicht in einem "realen" Venedig zu bewegen. Dabei liegt dem Autor Jean Dufaux das Theater nicht einmal fern:

Ich mag Dinge, die schwarz und weiß zugleich sind, wie das englische Theater, wo sich Komödie und Tragödie vereinen. Ich denke da an den Film "Falstaff" von Orson Welles, der von mehreren Stücken Shakespeares inspiriert ist. Ähnlich ist auch Giacomo ein tragischer Held, ein Einzelner in der Menge. Tragisch ist es zum Beispiel, wenn er das einzige verkaufen muss, das ihn an seine große Liebe erinnert, oder wenn er eine Pistole hervorholt, um sich umzubringen.

Eine der "Hauptpersonen" des Comics ist die weiße Maus Mimi, die Giacomo von seiner verstorbenen Caterina geerbt hat und an der er mehr hängt als an seinem Leben. Mimi sorgt immer wieder für Auflockerung; sie ist im wahrsten Sinne des Wortes der "running gag" der Serie. Für das Burleske steht vor allem Parmeno, der Diener und Schatten Giacomos, der auch dramatische Situationen mit einer Mischung aus Bauernschläue und Naivität meistert. Aber auch die anderen Figuren dieses "Stücks" sind theatralisch überzogen in Aussehen und Gesten, in Vorhaben und Handeln. So leidet zum Beispiel der Cavaliere, der großspurige Herr der venezianischen Unterwelt, unter der Vorstellung, ein herausragender Dichter zu sein. Signor Bagradino, Giacomos reicher Gönner, hat einen Tick: Er bekommt lebensgefährliche Lachkrämpfe. Nur Giacomo weiß dagegen ein Mittel, und zwar eines recht handgreiflicher Art. Der Puffmutter Signora Aquali rutscht immer wieder die überdimensionierte Perücke von Kopf, woraufhin ihre Zofe Lolotta das Monstrum wieder geraderücken muss. Wie in Shakespeares Dramen nehmen solche Szenen die Schwere aus einer Handlung, die in der Regel alles andere als komisch ist.

Oben Seite 120, unten Seite 157 aus "Giacomo C." Band 1.

 
Bernd Hinrichs:
Giacomo C. - die Gesamtausgabe

 

Wir befinden uns in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Die einstige See- und Wirtschaftsmacht Venedig - oder "Serenissima Repubblica di San Marco", wie sie auf italienisch genannt wird ("Durchlauchtigste Republik des Heiligen Markus") - hat ihre beste Zeiten hinter sich. Die Metropole im äußersten Norden der Adria hat an Einfluss eingebüßt. Mit dem Maler Giovanni Antonio Canal, besser bekannt als Canaletto, dem Komödiendichter Carlo Goldoni und dem Komponisten Antonio Vivaldi unterstreicht die Stadt zwar noch einmal ihre Bedeutung als kulturelle Hochburg, aber die Zeichen sprechen eine deutliche Sprache: Die kulturgeschichtliche Epoche des Rokoko und damit das ideologische Grundgerüst der Stadt schwinden und verlieren an Bedeutung. In diesem Umfeld spielen die in "Giacomo C." erzählten Abenteuer von Giacomo und seinem Diener Parmeno...

Lesen Sie hier den ganzen Artikel von Bernd Hinrichs, erschienen in dem Magazin ZACK 3/2017.

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